StrategieStorytelling

Wut und Worte: Schimpfen strategisch nutzen

von Franziska Bluhm am 16.10.2024

Ob als Kommentar unter Nachrichtenbeiträgen oder auf Instagram, die Aufregung über die lieben Kollegen, das misslungene Essen in der Kantine, den Partner, der den Müll nicht mitgenommen hat oder das Wahlkampfvokabular von Donald Trump - es wird geschimpft. Und das manchmal sogar aus gutem Grund.

Schimpfen erfüllt für uns eine wichtige Funktion: Wut ablassen - höchst förderlich für unsere physische und mentale Gesundheit und unsere sozialen Beziehungen. Schimpfen kann Bluthochdruck, Entzündungen und Magengeschwüre verhindern. Auch der Zusammenhang zwischen verdrängtem Ärger und Depressionen ist nachgewiesen.

Schimpfen als Indikator für notwendige Kommunikation

Gerade im Unternehmenskontext kann das Schimpfen oder Fluchen auch Indikator für Themen sein, die es dringend anzugehen lohnt: 

  • Beschimpfungen sagen immer etwas über die schimpfende Person aus: Welches Temperament hat sie? Wie ist der emotionale Zustand? Welche Probleme und Ängste, Schwächen hat sie? Diese zu kennen, kann helfen, ins Gespräch zu kommen.
     
  • Oft geht es beim Schimpfen nicht nur um den Anlass, sondern um unerfüllte Erwartungen, Gefühle der Machtlosigkeit oder das Bedürfnis nach Anerkennung. Indem wir diese Dynamiken erkennen, können wir helfen, Konflikte zu entschärfen und eine konstruktive Kommunikation fördern.
     
  • In Unternehmen oder Organisationen kann Schimpfen auf Kommunikationsprobleme oder Missverständnisse hinweisen. Wenn ein Mitarbeiter z.B. auf eine bestimmte Aufgabe schimpft, könnte das ein Indiz für ein strukturelles Hindernis sein. 
     
  • Es gibt kulturelle Unterschiede beim Schimpfen, weshalb manche Worte in bestimmten Kontexten oder Gruppen unterschiedlich wahrgenommen werden können. Ein Verständnis dafür, wie und warum Menschen in verschiedenen kulturellen oder sozialen Milieus schimpfen, kann helfen, Missverständnisse zu vermeiden und interkulturelle Kommunikation zu optimieren.

Und weil das so ist, möchte ich ein paar Fakten teilen - über das Schimpfen. 

  1. Schimpfen hat für Erwachsene ein breites Spektrum an Funktionen: Wir reagieren uns ab, lösen Anspannungen, es lindert Schmerzen (Frauen in den Wehen), es spornt uns an und kann beim Sport die Leistung steigern. Es hilft, mit die Realität und Ängste zu bewältigen. Schimpfen fördert Zusammenhalt, schafft Verbundenheit, tröstet, kann einschüchtern, hilft bei der Selbstdarstellung und kann Handlungen steuern (wenn MitarbeiterInnen sehen, dass der fluchende Chef in keiner guten Verfassung ist und sie darauf achten, ihm keinen weiteren Anlass zum Ärger zu geben). 
     
  2. Bei Jugendlichen haben andere Funktionen des Schimpfens Priorität. Natürlich spielt auch das Abreagieren eine wichtige Rolle, aber die provozierende, selbstdarstellende oder kontaktstiftende Funktion rückt stärker in den Vordergrund. "Aggressive Sprechakte werden meist nicht im Streit, sondern routiniert in emotional nur schwach aufgeladenen Situationen gebraucht. Oft handelt es sich um eine fiktive verbale Aggression: Schimpfen als Aufmerksamkeitserregung, Selbstdarstellung, als Demonstration der Zugehörigkeit zur Gruppe oder um andere zum Lachen zu bringen."
     
  3. Schimpfen Frauen anders als Männer? Beide schimpfen gleich viel, es gibt nur Unterschiede in der Form. Frauen schimpfen vielfältiger und bildkräftiger. Sie neigen eher zu indirekten Form des Schimpfens und thematisieren gerne Situationen (z.B. "Das ist das Letzte") oder Emotionen (z.B. "Du bringst mich zur Weißglut"). Männer hingegen verwenden beim Schimpfen eher Gegenstände (z.B. "Scheiß-Karre").
     
  4. Schimpfwörter gehören zur Kindheit und zur kreativen Sprachentwicklung dazu. Kinder testen Reaktionen, probieren sich aus und lernen so, welche Begriffe akzeptiert sind und welche nicht. Wenn du nochmal kindliche Kreation ausprobieren willst, empfehle ich dir diesen Schimpfwortgenerator.
     
  5. Beim Schimpfen gibt es kulturelle Unterschiede: Grob gesagt gibt es vier verschiedene Kulturen: Shitkultur (deutsch, französisch, ukrainisch), die Sex-Kultur (russisch, englisch, serbisch), die Sacrum-Kultur (spanisch, italienisch) und Verwandtenschmähungen (z.B. Naher Osten, USA). Was man auch sagen kann: Je diverser die Gesellschaft, desto mehr vermischen sich auch Schimpfkulturen.
     
  6. Woher das Schimpfwort "Leck mich am Arsch" kommt? "Die Ursprünge der Aufforderung (...) gehen auf das Lecken als alten Brauch der Volksmedizin zur Wundheilung zurück. Die Wunderheiler gaben vor, damit alle möglichen Krankheiten heilen zu können. Um dieser Prozedur besondere Heilkraft zu verleihen, haben Sie das Lecken 'kreuzweise' ausgeführt."
     
  7. Es gibt sogar ein Lied von Johann Wolfgang Mozart, dass dieses Schimpfwort aufgreift.

Fazit

Schimpfen ist mehr als nur ein Ventil für Ärger – es ist ein wertvolles Kommunikationsmittel, das uns helfen kann, Stress abzubauen, soziale Bindungen zu stärken und sogar tiefere Einblicke in unsere emotionalen Zustände und Bedürfnisse zu gewinnen. Im Unternehmenskontext kann es Konfliktpotenziale offenbaren und den Weg zu konstruktiven Gesprächen ebnen. Wenn wir die dahinterliegenden Emotionen und Dynamiken verstehen, können wir sowohl unsere persönliche als auch unsere berufliche Kommunikation nachhaltig verbessern.

Wer tiefer einsteigen will in die Kunst des Schimpfens: "Nur ein Depp würde dieses Buch nicht lesen" von Dr. Oksana Havryliv 

Zurück zur Übersicht

Hinterlassen Sie doch einen Kommentar!

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Über die Autorin

Franziska Bluhm

Franziska Bluhm

Telefon: 0170 – 300 3671

E-Mail: post@franziskabluhm.de

Franziska Bluhm gehört zu den renommiertesten Medien- und Digitalprofis in Deutschland, mit mehr als 18 Jahren Führungserfahrung in unterschiedlichen deutschen Medienunternehmen - über Handelsblatt und WirtschaftsWoche, Rheinische Post und BILD. Sie unterstützt und begleitet Unternehmen und Redaktionen, gibt Trainings und Coachings, moderiert und hält Vorträge.

nach oben

Sie sind beim Besuch dieser Website anonym. Wir benötigen ein technisch notwendiges Session-Cookie („sessions“) um das Kontaktormular gegen Missbrauch abzusichern. Ihr Ok wird für einen Tag in einem 2. Cookie („eu-cookie“) gespeichert. Vor dem Anzeigen externer Inhalte werden Sie vor dem Anzeigen um Ihre Erlaubnis gefragt. Um unsere Website laufend zu verbessern, nutzen wir die Statistik-Software „Matomo“. Sie bleiben auch dort vollständig anonym: Matomo ist auf unserem eigenen Server installiert, so dass keine Daten zu fremden Anbietern übertragen werden. Ihre IP-Adresse wird durch Kürzung anonymisiert und Matomo setzt keine Cookies. Weitere Infos finden Sie in derDatenschutzerklärung.