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E-Paper? Personalisierung? Oder Social Media?
von Franziska Bluhm am 09.02.2023
Ein besseres Timing geht wohl kaum. Bertelsmann trennt sich von zahlreichen journalistischen Marken, stampft manche Titel komplett ein und entlässt rund 1.000 Mitarbeiter*innen. Der Konzern konzentriert seine Kräfte auf die großen Marken, diejenigen, die bereits jetzt in Sachen Digitalisierung Schritte getan haben.
Gleichzeitig legt der Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) gemeinsam mit der Unternehmensberatung Schickler seine jährliche Trend-Umfrage vor. Eine Umfrage, die ich ohnehin immer mit großem Interesse lese. Vor allem, weil ich wissen will, ob sich das Bild, das ich durch meine Arbeit erhalte, mit dem deckt, welches die Verantwortlichen in den Medienhäusern auch nach draußen tragen.
Während der deutsche Zeitschriftenmarkt stark zusammengeschrumpft wird, sehen wir bei den Tageszeitungsmarken ein heterogenes Bild. Einerseits große Beharrungskräfte, was das Geschäftsmodell angeht - viele Häuser glauben immer noch, dass ihr Print-Modell auch in die digitale Welt übertragen werden kann. Andererseits müssen sich auch hier die ersten Häuser eingestehen, dass es so nicht weitergeht. 63 Prozent der befragten Verlagsmanager planen, in den nächsten drei Jahren die Zustellung der Tageszeitungen "in unwirtschaftlichen Bereichen" einzustellen. Gleichzeitig sagen 49 Prozent, sie wollen die "Zustellqualität" reduzieren. Ob es die letzten Kund*innen wirklich überzeugt, wenn sie sich nicht mal mehr darauf verlassen können, ihre Tageszeitung morgens am Frühstückstisch lesen zu können - ich bin mehr als skeptisch, ob das gut geht.
Aber lass uns mal einen Blick auf die Umfrageergebnisse werfen.
- Bei der Bewertung der Chancen und Risiken für 2023 hat es Verschiebungen gegeben: Während man 2022 noch Chancen im Aufbau neuer Geschäftsfelder außerhalb des Kerngeschäfts gesehen hat, glaubt man jetzt eher an Wachstum durch neue journalistische Projekte. Bei den größten Risiken ist 2023 der Fachkräftemangel endlich auf die Agenda gerückt.
- Haben die Befragten für 2022 als Top-Trends noch Personalisierung, Produkte für alle Zielgruppen und neue Kompetenzfelder gesehen, geht es diesmal darum, den Wandel vom Print- zum Digitalkunden aktiv zu gestalten, Inhalte und Produkte ganzheitlich zu optimieren und die Unternehmenskultur und Arbeitgebermarke zu transformieren. Sagen wir es so: Hätten die Verlage wenigstens 2022 schon ihren Job gemacht, müssten sie sich 2023 nicht damit beschäftigen. Denn ...
- Wenn vom Wandel vom Print- zum Digitalkunden gesprochen wird, geht es vor allem darum, die hohen Zustellungskosten von Papierprodukten (haben sich seit 2015 pro Exemplar verdoppelt!) zu kompensieren. Hauptstrategie laut der Befragung: Leute ins E-Paper bringen. Es schockt mich, dass 67 Prozent der Befragten sagen, dass das E-Paper auch ohne Print als eigenständiges Produkt existieren kann. Allerdings auch bezeichnend: Sie glauben, dass man maximal 10 bis 20 Prozent der Print-Abos auf E-Paper umstellen kann.
- In Sachen Kund*innenerlebnisse hat sich in den vergangenen Jahren ein bisschen was getan. Viele Dinge wurden bereits angestoßen und umgesetzt oder sind in Planung. Die größten To-dos sehen die Befragten bei den Themen: digitales Storytelling, Datenjournalismus, konstruktiver Journalismus und neue zielgruppenspezifische Rubriken.
In Sachen Engagement wollen viele ihre Aktivitäten bei folgenden Dingen verstärken: Personalisierung, Social-Media-Strategie, personalisierte Inhalte via Newsletter, Pushkanäle und die Optimierung der Registrierungsstrategie. Blöd, denn ...
- Das größte Hemmnis für den Aus- und Aufbau des digitalen Angebots derzeit ist, geeignetes Personal zu finden. 80 Prozent der Befragten sagen das. Was tun? An die Unternehmenskultur ran, sagen sie auch.
- Der Wille, um in die digitalen Kompetenzen zu investieren, ist zumindest da. 65 Prozent wollen die Investitionen in die Digitalredaktion steigern, 62 Prozent in Digital Sales. Und so sehr ich das begrüße, sorgt mich schon, dass die Stärkung der lokalen journalistischen Kompetenzen so wenig auf dem Radar steht. Gerade, wenn man auf der anderen Seite behauptet, auf "Customer needs" zu setzen.
- Und wie steht es jetzt um die Unternehmenskultur? Ich bin nicht sicher, dass sich da wirklich so viel tun wird. Denn: Während nur 9 Prozent sagen, dass sie über eine moderne und zukunftsgerichtete Unternehmenskultur verfügen, weitere 67 Prozent, dass das "eher" auf sie zutrifft. Die Tendenz ist also groß, dass man sich auch weiterhin mit dem Mittelmaß zufriedengibt und hier darauf hofft, dass ein neuer Anstrich vielleicht schon ausreicht, um wieder attraktiver zu sein.
Hier geht's zu der gesamten Studie.
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Über die Autorin
Franziska Bluhm gehört zu den renommiertesten Medien- und Digitalprofis in Deutschland, mit mehr als 18 Jahren Führungserfahrung in unterschiedlichen deutschen Medienunternehmen - über Handelsblatt und WirtschaftsWoche, Rheinische Post und BILD. Sie unterstützt und begleitet Unternehmen und Redaktionen, gibt Trainings und Coachings, moderiert und hält Vorträge.
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