StrategieJournalismusKünstliche Intelligenz
Wie Medien und Unternehmenskommunikation den AI-Shift meistern
von Franziska Bluhm am 22.10.2025

Es passiert jetzt. Der Wandel, den Künstliche Intelligenz in der Medienwelt auslöst, ist längst da – und er verändert Strukturen, Prozesse und Erwartungen. Wir sehen ihn in der Google-Suche, in automatisiert erstellten Texten, im eigenen Medienkonsum. Wir sehen ihn auch in den Gesichtern von Journalist*innen und Kommunikator*innen: zwischen Faszination und Verunsicherung.
Aber dieser Wandel ist kein Grund zur Panik. Er ist ein Zeichen, dass wir jetzt gestalten müssen – strategisch, bewusst, mit Haltung. Wer versteht, wie sich Arbeit, Inhalte und Prozesse verändern, kann nicht nur reagieren, sondern führen.
1. Inhalte schaffen, die einzigartig sind
Suchmaschinen und LLMs liefern Antworten – oft, ohne dass jemand noch auf deinen Link klickt. Das bedeutet: Wer nur auf klassische SEO-Mechaniken setzt, verliert Sichtbarkeit.
Strategisch relevant werden Inhalte, die nicht glattgebügelt werden können: Reportagen, Kommentierungen, persönliche Perspektiven, Recherchen, Formate, die Kontext benötigen. Alles, was nicht "funktional", sondern erlebbar ist. Das ist die neue Währung im KI-Zeitalter: Erlebbarkeit und Einzigartigkeit statt Masse.
Für Corporate Newsrooms heißt das: Inhalte, die einordnen, Haltung zeigen und Markenprofil schärfen. Kein automatisiertes Storytelling, sondern Kommunikation, die Vertrauen und Nähe schafft.
2. Eine Destination bauen, kein Durchgangszimmer
Wer den Traffic nicht mehr verlässlich über Google bekommt, braucht andere Wege, um Sichtbarkeit aufzubauen. Und die entsteht dort, wo auch Vertrauen entsteht. Deshalb: Es geht kein Weg daran vorbei, die eigene Plattform zu stärken, eine, die Nutzer*innen bewusst ansteuern – nicht zufällig erreichen. Weil sie wissen, was sie dort erwartet. Das braucht ein klares Profil, erkennbaren Mehrwert, eine redaktionelle Markenführung, sprich: Themen, die überraschen. Formate, die nicht austauschbar sind.
Auch Unternehmensnewsrooms sollten nicht nur senden, sondern strategisch eigene Kommunikationsräume aufbauen – ob Website, Themenhub oder Corporate Podcast. Wo Menschen freiwillig hingehen, entsteht Bindung.
3. Beziehungen sind die neue Reichweite
Suchmaschinen verlieren an Relevanz, Social-Media-Plattformen ändern ständig ihre Regeln. Wer heute noch ausschließlich auf Plattformlogiken setzt, verliert die Kontrolle über seine Community. Der strategische Ansatz lautet: Kanalmix mit Sinn.
Plattformen wie TikTok, LinkedIn oder Instagram können Zugänge schaffen – aber das Ziel bleibt: Bindung aufbauen.
Newsletter sind dafür ideal: persönlich, wiederkehrend, einigermaßen algorithmusfrei. Wer sie ernst nimmt, betreibt Beziehungspflege. (Ein paar Tipps für gute Newsletter findest du hier.)
4. Nutzungserlebnisse statt Einzelartikel
Der eine gut geschriebene Text reicht nicht mehr. Wer heute auf deiner Seite landet, muss das Gefühl haben: Hier bleibe ich. Hier finde ich mehr. Die Aufmerksamkeitsspanne ist knapp – aber wer erstmal da ist, darf auch in die Tiefe gezogen werden.
Strategisch starke Medienangebote denken in Nutzungserlebnissen: Dossiers, Serien, Empfehlungen, Kontext. Statt „Related Content“ nach Schema F: echte Orientierung.
Die Frage lautet: Wie verlängern wir Aufmerksamkeit? Wie schaffen wir Tiefe, ohne zu überfordern? Jeder Klick sollte ein Einstieg in eine Beziehung sein – kein Zufallsbesuch.
Gleiches gilt für Unternehmenskommunikation. Wer Zielgruppen über Pressemitteilungen hinaus erreichen will, sollte Themenräume schaffen – mit Anschlussgeschichten, Interviews, Erklärstücken und klaren Botschaften.
5. AI als Werkzeug, nicht als Ersatz
Generative KI kann Prozesse beschleunigen – aber sie darf keine redaktionelle Haltung ersetzen. Strategisch geht es jetzt darum, KI dort einzusetzen, wo sie Freiräume schafft: bei der Recherche, beim Strukturieren, bei Routinetätigkeiten, Übersetzungen. Damit Zeit bleibt für das, was zählt: Recherche, Einordnung, ja: Journalismus oder gute Kommunikation.
Gleichzeitig braucht es technische und organisatorische Kompetenz: Mitarbeitende müssen wissen, was KI kann – und was nicht. Wer den Wandel versteht, kann ihn gestalten. (Mein Angebot)
6. KI mit Sinn – nicht um der KI willen
Gerade jetzt ist die Versuchung groß, „auch etwas mit KI zu machen“. Doch wer Technologien nur implementiert, um modern zu wirken, verbrennt schnell Zeit, Geld und Vertrauen.
KI-Einsatz macht nur dann Sinn, wenn er auf konkrete Ziele einzahlt:
Prozesse effizienter machen,
redaktionelle oder kommunikative Qualität steigern,
Wissen nutzbar machen,
neue Wertschöpfung ermöglichen.
Der kluge Einsatz von KI beginnt mit der Frage: Welches Problem soll sie lösen – und was bringt sie uns wirklich? Technologie ist kein Aushängeschild, sondern ein Werkzeug, um Strategie umzusetzen.
7. Daten als strategischer Kompass
Wer sein Publikum kennt, kann bessere Entscheidungen treffen – inhaltlich wie wirtschaftlich. Deshalb werden First-Party-Daten zum wichtigsten Werkzeug. Doch entscheidend ist, sie strategisch zu lesen: Welche Themen binden? Wo verlieren wir? Was wird ignoriert? Welche Formate erzeugen Tiefe?
Es geht dabei nicht um das Datensammeln, sondern um das Gewinnen von Erkenntnissen.
Auch in der Unternehmenskommunikation gilt: Nur wer seine Stakeholder versteht, kann relevante Geschichten erzählen – dateninformiert, aber nicht datengetrieben.
8. Redaktionen weiterentwickeln
KI ist kein IT-Thema, sondern ein strategisches. Wer heute Inhalte entwickelt, braucht ein Grundverständnis davon, was GenAI kann – und was nicht. Es geht nicht darum, dass jede*r coden kann, sondern darum, zu verstehen. Denn: Redaktionen und Teams, die AI nicht verstehen, können sie auch nicht klug einsetzen.
Lernen, testen, reflektieren – das gehört in den Arbeitsalltag. Gleichzeitig müssen Strukturen so gebaut sein, dass Wissen im Haus bleibt und geteilt wird. Das ist Change Management – nicht Weiterbildung.
9. Vertrauen schlägt Algorithmus
In einer Zeit, in der Inhalte automatisiert entstehen, wird Transparenz zum Wettbewerbsvorteil.
Wer klar kommuniziert, wie Inhalte entstehen, wer Urheber benennt, Kennzeichnungen ernst nimmt und offen über Fehler spricht, gewinnt Vertrauen. Ethik und Glaubwürdigkeit sind keine Compliance-Themen, sondern strategische Assets.
Fazit: Weniger Panik, mehr Strategie
Der AI-Shift ist real. Aber er ist kein Grund zur Kapitulation. Sondern eine Einladung, Prozesse, Inhalte und Organisation neu zu denken: Was ist der Kern unseres Angebots? Was macht uns besonders? Wie nutzen wir Technologie, um menschlicher zu kommunizieren? Wo entstehen Chancen durch Automatisierung? Welche Formate bringen uns wirklich weiter – inhaltlich, wirtschaftlich, menschlich?
KI verändert gerade viel. Aber sie zwingt uns, uns auf unsere Identität, unseren Kern zu besinnen.
Über die Autorin

Franziska Bluhm gehört zu den renommiertesten Medien- und Digitalprofis in Deutschland, mit mehr als 18 Jahren Führungserfahrung in unterschiedlichen deutschen Medienunternehmen - über Handelsblatt und WirtschaftsWoche, Rheinische Post und BILD. Sie unterstützt und begleitet Unternehmen und Redaktionen, gibt Trainings und Coachings, moderiert und hält Vorträge.
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